Es braucht ein neues Bekenntnis
24. Oktober 2025

Glaubensbekenntnisse damals und heute

  

Einleitung 

      

     Wir feiern in diesem Jahr ein Jubiläum: Vor 1700 Jahren wurde auf dem ersten öku-

     menischen Konzil das sogenannte Nizänische Glaubensbekenntnis beschlossen. 

     Auch wenn sich in der westlichen Christenheit das im 5. Jahrhundert entstandene 

     Apostolische Glaubensbekenntnis durchgesetzt hat: Das Nizänische Glaubensbe-

     kenntnis (nicht zu verwechseln mit dem bekannteren und nahe verwandten Nizä-

     nisch-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das in der evangelischen Kir-

     che an besonderen Feiertagen gesprochen wird) ist das erste große christliche Glau-

     bensbekenntnis und das meistanerkannte Bekenntnis im Christentum, da auch die 

     altorientalischen Kirchen es bestätigt haben. 


     Wir feiern in diesem Jahr also ein Jubiläum, aber außerhalb der Kirche interessiert 

     das niemanden. Und auch innerhalb der Kirchen Deutschlands ist die Jubiläumsstim-

     mung eher gedämpft. Das überrascht nicht: Die Bedeutung der traditionellen Glau-

     bensbekenntnisse geht immer weiter zurück. Auch wenn das Apostolische Glau-

     bensbekenntnis immer noch regelmäßig in Gottesdiensten gesprochen wird: Selbst 

     die treuen Kirchenchristen sprechen es - so ist meine Erfahrung - kaum mehr mit in-

     nerer Anteilnahme. Man kennt die Worte noch, aber sie berühren nicht mehr. So 

     gesehen bietet das Jubiläum wenig Anlass zum Feiern (wie überhaupt in der Kirche 

     in Zeiten der Krise Feierstimmung nicht recht aufkommen will). 

 

     Auch wenn man das Jubiläum nicht ausgelassen feiern mag, es eröffnet jedoch die 

     Gelegenheit, das Thema "Glaubensbekenntnisse" ganz allgemein in den Blick zu neh-

     men. Wie soll unser Umgang mit Glaubensbekenntnissen zukünftig sein: Sollten wir 

     die alten Glaubensbekenntnisse weiterhin sprechen? Oder stattdessen neue Be-

     kenntnisse formulieren? Oder beides tun (eine Kompromissformel, auf die wir uns in 

     der Kirche ja gerne einigen)? Oder sollten wir künftig auf Glaubensbekenntnisse gar 

     generell verzichten? 


     Darum soll es im Folgenden gehen. Ich lade Sie zu einem Gedankenspaziergang ein, 

     der uns zunächst zu den traditionellen Bekenntnissen zurückführt und dann mit-

     nimmt zu den gegenwärtigen Herausforderungen christlichen Bekennens. 

      

     A) Anlässe traditioneller Glaubensbekenntnisse 

      

     Wie kam es eigentlich zu Glaubensbekenntnissen? Um diese Frage zu beantworten, 

     ist ein kurzer Blick in die Geschichte des Christentums lehrreich. 


     1) Regelmäßig wurden in der Geschichte des Christentums Konzilien einberufen, um 

     dogmatische Streitigkeiten auszuräumen. Um ein Beispiel zu geben: Im 4. Jahrhun-

     dert war die Einheit der Kirche bedroht, weil unterschiedliche Auffassungen über die 

     Person Jesu im Verhältnis zu Gott in Umlauf waren. Auf dem Konzil von Nizäa 325 n. 

     Chr. wurde nach zum Teil heftiger Diskussion eine gemeinsame dogmatische Linie 

     formuliert. Gleichzeitig grenzte man sich gegenüber abweichenden Lehren ab. Das 

     Ergebnis der theologischen Verständigung fand Eingang in das Nizänische Glaubens-

     bekenntnis. Seine Erweiterung, das Nizänisch-Konstantinopolitanische Glaubensbe-

     kenntnis, wurde auf dem 4. ökumenischen Konzil zum ersten Mal feierlich verlesen - 

     und führte in der Folge dazu, dass die altorientalischen Kirchen aus der bisherigen 

     Einheit ausscherten, weil sie das Bekenntnis nicht mittragen wollten. 


     2) Im Zuge der Abspaltung der protestantischen Kirche von der römisch-katholischen 

     Kirche sahen sich die Reformatoren vor die Aufgabe gestellt, zu benennen, was die 

     Identität der eigenen Glaubensauffassung ausmacht. So entstanden innerhalb kur-

     zer Zeit eine Reihe von Schriften und Bekenntnissen. In diesen wurden nicht nur die 

     Differenzen zur römisch-katholischen Auffassung deutlich, sondern auch Differenzen 

     unter den einzelnen Reformatoren unübersehbar. Diese Differenzen führten dazu, 

     dass sich unterschiedliche Typen protestantischer Identität ausprägten (lutherische, 

     reformierte, später auch unierte Kirchen). Die protestantischen Bekenntnisschriften 

     bilden, in jeweils charakteristischer Auswahl, bis heute die Basis der Identität der 

     protestantischen Kirchen. 


     Dieser kurze Blick in die Kirchengeschichte zeigt auf: Es gab es immer einen konkre-

     ten Anlass für die Entstehung von Glaubensbekenntnissen. Ob es um dogmatische 

     Lehrstreitigkeiten in der bestehenden Kirche ging oder um die Formulierung von 

     Grundüberzeugungen zu Beginn einer neuentstehenden Kirche: Immer war die For-

     mulierung von Glaubensbekenntnissen Identitätsbestimmung. Die theologischen 

     Verständigungen beinhalteten dabei immer auch inhaltliche Abgrenzungen. Dieser 

     Verständigungsprozess fand entweder nach einer Abspaltung statt oder führte an-

     schließend oft zu Abspaltungen. 

      

     B) Die Problematik traditioneller Glaubensbekenntnisse 

      

     Wie ist das: Sind die traditionellen Glaubensbekenntnisse, die zu einer bestimmten 

     Zeit aufgrund eines konkreten Anlasses entstanden sind, bleibend gültige Lehr- und 

     Glaubenszeugnisse? Nur in diesem Fall sollte man sie weiterhin regelmäßig verwen-

     den. Dann aber müsste in Zeiten schwindender Resonanz ihre Bedeutung für die 

     Christen heutiger Zeit regelmäßig erläutert werden, um einem gedankenlosen Her-

     unterleiern entgegenzuwirken. Oder sind die traditionellen Glaubensbekenntnisse 

     zwar kirchengeschichtlich bedeutsam, helfen uns aber für die Bestimmung unseres 

     Glaubens in heutiger Zeit nicht mehr? Dann wäre die Zeit ihrer regelmäßigen Ver-

     wendung bei Gottesdiensten und Taufen vorbei. 

     

     Ich will im Folgenden begründen, warum ich der zweiten Ansicht zuneige: 

     

     1) Nur das Nizänum, das älteste Glaubensbekenntnis, war in der damaligen Chris-

     tenheit allgemein anerkannt. Aber gerade dieses spielt in der Frömmigkeitspraxis 

     heutiger Kirchen keine Rolle. Alle anderen Glaubensbekenntnisse haben nur partiku-

     läre Bedeutung. Sie sind also gerade nicht Ausdruck der gesamten Christenheit, wie 

     in Gottesdiensten der evangelischen Kirche als Einleitung zum Apostolischen Glau-

     bensbekenntnis oft behauptet wird. Unterschiedliche Auffassungen zum Nizänisch-

     Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis (der Streit um das "filioque"!) waren 

     sogar ein wichtiger Grund dafür, dass die Welt- und Ostkirche sich 1054 n. Chr. 

     trennten. 


     2) Dass das Nizänum heute keine Rolle mehr spielt, hängt unter anderem damit zu-

     sammen, dass die, die einen anderen Glauben propagieren, im Nizänum verflucht 

     werden. Diese Verfluchung (sog. anathema) bedeutet: Verurteilung durch die Kir-

     che. Sie geht mit dem Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft einher und ist 

     kirchenrechtlich mit einer Exkommunikation gleichzusetzen. 1054 belegten sich die 

     östlichen und die westlichen Kirchen wechselseitig mit Anathemata. In den Schmal-

     kaldischen Artikeln, einer protestantischen Bekenntnisschrift, spricht Luther zwar 

     gegenüber der katholischen Kirche keine Verfluchung aus, aber er nimmt kein Blatt 

     vor den Mund und bezeichnet den Papst unter anderem als Satan. Das sind Worte, 

     die bewusst verletzen wollen. 

     Summa summarum: Die Verfluchungen und harten Abgrenzungen, die im Zusam-

     menhang von Glaubensbekenntnissen und Bekenntnisschriften ausgesprochen wur-

     den, sind ein schweres Erbe, die das Verhältnis von Christen untereinander bis heute 

     belastet. 


     3) Das heute verbreitete Apostolische Glaubensbekenntnis enthält diese Verfluchun-

     gen und harten Abgrenzungen nicht. Aber so, wie es heute in der evangelischen und 

     der katholischen Kirche gesprochen wird, ist es eher Ausdruck des konfessionellen 

     Getrenntseins als Ausdruck des gemeinsamen Glaubens. Der Wortlaut ist in beiden 

     Kirchen der gleiche bis auf einen signifikanten Unterschied: Während evangelische 

     Christen von der "christlichen" Kirche sprechen, wird in der katholischen Kirche von 

     der "katholischen" Kirche gesprochen. Nun heißt "katholisch" von seinem griechi-

     schen Wortsinn her zwar "allumfassend". Das wissen aber die meisten katholischen 

     Christen nicht und meinen, damit wäre die römisch-katholische Kirche gemeint. Die-

     ses Missverständnis geht die römisch-katholische Kirche bewusst ein. 


     4) Ganz allgemein gilt: Glaubensbekenntnisse beziehen sich - wie wir gesehen haben 

     - immer auf spezifische Herausforderungen ihrer Zeit. In den ersten Konzilien ging es 

     um dogmatische Streitigkeiten bezüglich der Frage, wie Jesus Christus zu verstehen 

     ist (Christologie) und wie sich sein Verhältnis zu Gottvater und dem Heiligen Geist 

     darstellt (Trinität). Diese Thematik stand in den altkirchlichen Glaubensbekenntnis-

     sen im Mittelpunkt. 

     Wenn Christen heute ihren Glauben zum Ausdruck bringen, spielen für sie diese alt-

     kirchlichen Auseinandersetzungen um Christologie und Trinität keine wesentliche 

     Rolle. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die altkirchlichen Glaubensbekennt-

     nisse für sie eine immer geringere Bedeutung haben. 


     5) Die Geistesströmung, auf deren Hintergrund die dogmatischen Streitigkeiten der 

     Alten Kirche erörtert wurden, war die griechische Philosophie. Alle Kontrahenten 

     argumentierten von ihr her und verwendeten für ihre Position entsprechende philo-

     sophische Begrifflichkeiten. 

     Die griechische Philosophie bestimmt unsere moderne Geisteshaltung nur noch am 

     Rande. Deshalb sind uns die Probleme, über die damals gestritten wurden, auch 

     fremd geworden. 

 

     6) Das Apostolische Glaubensbekenntnis, das - wie schon erwähnt - als einziges der 

     altkirchlichen Glaubensbekenntnisse heute noch regelmäßig verwendet wird, glie-

     dert sich in die drei Abschnitte "Gott", "Jesus Christus" und "Heiliger Geist". Darin 

     spiegel sich die zentrale Bedeutung, die die Trinität in der Alten Kirche innehatte. 

     Anhand dieser Gliederung wird die christliche Heilsgeschichte dargestellt als eine 

     Linie, die von der Schöpfung bis hin zum ewigen Leben verläuft. In dieser Darstellung 

     spielt die Verkündigung Jesu keine Rolle. Stattdessen geht es ausschließlich um sei-

     nen Tod und seine Auferstehung. Das Überspringen der Reich-Gottes-Botschaft ist 

     ein großes Manko des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Denn damit fehlt ein 

     wesentlicher Aspekt des christlichen Glaubens. 

 

     7) Die Konzeptionierung einer einlinigen Heilsgeschichte bedeutet aber auch ganz 

     allgemein eine Verengung der biblischen Darstellung. Um ein paar Beispiele zu nen-

     nen: Das Jüngste Gericht und die Jungfrauengeburt sind Teil der matthäischen Sicht 

     Jesu, in den anderen Evangelien kommen sie nicht vor. Die Himmelfahrtserzählung 

     wiederum findet sich nur beim Evangelisten Lukas. Sie steht in Spannung zu der 

     Sicht der anderen Evangelien, die das Geschehen nach der Auferstehung Jesu ganz 

     anders beschreiben (während das Markusevangelium mit der Schilderung der Aufer-

     stehung Jesu ursprünglich endete, bleibt der Auferstandene im Matthäus- und dem 

     Johannesevangelium bei seinen Freunden). Und schließlich: Die Bedeutung Jesu aus-

     schließlich auf seinen Tod und seine Auferstehung zu beziehen, entspricht der An-

     sicht von Paulus, dem großen Missionar der Urkirche. Damit legt das Apostolische 

     Glaubensbekenntnis die theologische Ansicht von Paulus als maßgebliche Anschau-

     ung für das Christentum zugrunde. 

     Ganz allgemein gilt also: Dadurch, dass das Apostolische Glaubensbekenntnis eine 

     einlinige Darstellung der Heilsgeschichte verfolgt, blendet es wichtige biblische Ele-

     mente aus und setzt willkürliche Schwerpunkte. 


     8) Überhaupt - und das ist mein generellster Kritikpunkt - ist die Frage, ob eine 

     durchkomponierte Glaubenslehre, wie sie im Apostolischen Glaubensbekenntnis 

     zum Ausdruck kommt, dem christlichen Glauben überhaupt angemessen ist. Die 

     Sprache der Bibel ist poetisch und lässt sich schwerlich auf einen begrifflichen Nen-

     ner und eine logische Linie bringen. Aber genau das versucht das Glaubensbekennt-

     nis. Das führt dazu, dass das Glaubensbekenntnis auf heutige Menschen wie eine al-

     ternativlose Tatsachenkette wirkt, die man zu glauben hat, wenn man ein guter 

     Christ sein will. 

     

     Aus den genannten Gründen bin ich der Meinung, dass wir die altkirchlichen Glau-

     bensbekenntnisse in der heutigen Zeit nicht mehr regelmäßig verwenden sollten. In 

     besonderen Situationen, zum Beispiel in diesem Jahr, dem Jahr des Jubiläums des 

     Nizänums, können sie jedoch genutzt werden, um über das nachzusinnen, was Men-

     schen damals bewegt hat, und zu überlegen, inwiefern das uns in unserer heutigen 

     Zeit inspirieren kann.  

           

     C) Neue Glaubensbekenntnisse? 

      

     Sollen wir in der heutigen Zeit neue Glaubensbekenntnisse kreieren? Oder vielleicht 

     besser auf Glaubensbekenntnisse ganz verzichten? 

     

     Meiner Meinung nach sind Glaubensbekenntnisse weiterhin von hoher Bedeutung. 

     In heutiger Zeit vielleicht sogar mehr denn je: Für uns selbst als Versuch, Klarheit zu 

     gewinnen über unsere religiöse Identität. Aber auch, um sprach- und auskunftsfähig 

     zu sein gegenüber unserer Mitwelt. Vermutlich ist Kirche in heutiger Zeit auch des-

     halb so wenig attraktiv, weil uns das immer weniger gelingt.  

      

     D) Erste Überlegungen  

      

     Was könnten hilfreiche Gesichtspunkte sein für neue Glaubensbekenntnisse? 


     1) Der Sinn traditioneller Glaubensbekenntnisse bestand darin, den Gehalt des 

     christlichen Glaubens zu bestimmen. Dies ist meines Erachtens auch weiterhin die 

     zentrale Funktion heutiger Glaubensbekenntnisse. 


     2) Glaubensbekenntnisse sind, wie wir gesehen haben, immer Kinder ihrer Zeit. Sie 

     entstanden, weil große Herausforderungen zu bewältigen waren, und setzten sich 

     dabei mit den herrschenden Geistesströmungen auseinander. 


     a) Die große kirchliche Herausforderung unserer heutigen Zeit ist die immer größere 

     Distanz vieler Menschen zum Christentum. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die mo-

     derne Denkweise, die mithilfe des Verstandes Dinge kritisch hinterfragt und auf 

     Überprüfbarkeit von Erkenntnissen Wert legt. Viele Menschen sind der Meinung, 

     dass der christliche Glaube mit dieser Denkweise, die in den Wissenschaften zu ent-

     sprechenden Erkenntnissen geführt hat, nicht vereinbar ist und deshalb nicht mehr 

     in die moderne Zeit passt. Dies gilt es in heutigen Glaubensbekenntnissen im Blick zu 

     haben. Modernen, kritisch denkenden Menschen einen Zugang zur christlichen Reli-

     gion vermitteln: Darum wird es in heutigen Glaubensbekenntnissen zentral gehen 

     müssen. 


     b) Glaubensüberzeugungen sind nie losgelöst davon, wie wir die Wirklichkeit allge-

     mein anschauen und verstehen. Weil sich unsere Weltanschauung und unser Welt-

     verständnis gegenüber früheren Zeiten verändert hat, wird sich auch unsere Sicht 

     auf den christlichen Glauben verändern müssen. Diese Veränderung sollte in heuti-

     gen Glaubensbekenntnissen zum Ausdruck kommen. Wir sollten deshalb in aller 

     Deutlichkeit auch sagen, was wir nicht (mehr) glauben. Das wird der Klarheit und 

     dem Profil unserer Glaubensüberzeugung nur gut tun. 


     3) Gerade weil Glaubensbekenntnisse immer Kinder ihrer Zeit sind, sollten wir die 

     ihre Gültigkeit nicht universalisieren. Sie sind Versuche, den Gehalt des christlichen 

     Glaubens zu bestimmen. Darin liegt ihr Wert – und ihre Grenze! Meines Erachtens 

     braucht es eine Vielzahl von Glaubensbekenntnissen. Es wird immer weniger gelin-

     gen, sich auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis zu einigen. Vielleicht ist das 

     auch gut so: Der christliche Glaube ist vielgestaltig und kann schwerlich auf einen 

     Nenner gebracht werden. 

                      

     E) Wie man theologisch ansetzen könnte  

      

     Jedes Glaubensbekenntnis enthält eine implizite Theologie. Diese Theologie be-

     stimmt nicht nur die einzelnen Aussagen, sondern auch den Aufriss des Glaubensbe-

     kenntnisses. Wenn ich im Folgenden Gedanken anstelle über die Inhalte neuer 

     Glaubensbekenntnisse, dann erfolgt das aus meiner spezifischen theologischen War-

     te. Andere, die von einer anderen theologischen Anschauung geprägt sind, werden 

     zu anderen Folgerungen gelangen. 

     

     Zentral für mein theologisches Nachdenken sind die Wahrnehmungen und das 

     Selbstverständnis der Menschen in der heutigen Zeit - zu denen ich ja selbst gehöre. 

     Die theologische Strömung, der ich mich dabei zuordne, nennt man (etwas missver-

     ständlich) "Liberale Theologie". 

     

     Liberale Theologie setzt bei dem Phänomen "religiöse Erfahrung" an. Was ist damit 

     gemeint? Menschen haben in ihrem Leben Erlebnisse unterschiedlicher Art. Manche 

     Erlebnisse können von einer besonderen Intensität sein: Zum Beispiel ein traumhaf-

     ter Sonnenuntergang, ein unvergleichliches Kunstwerk oder eine folgenschwere 

     Gewissensentscheidung. Viele Menschen empfinden diese Intensität - und gehen 

     nach kurzer Zeit wieder zur Tagesordnung über. Manche Menschen haben jedoch 

     die Empfindung, dass in einem solchen Erlebnis für einen Moment ihr Alltagshori-

     zont aufreißt und dahinter ein viel weiterer, ja unendlicher Horizont aufscheint. Sie 

     ahnen für einen Moment einen tieferen Sinn hinter allem. Dieses Gefühl kann zu 

     einer Veränderung der gesamten Lebenshaltung führen. 

     

     Wie kommt es, dass Menschen äußerlich gesehen das Gleiche erleben, aber es an-

     ders wahrnehmen? Sie deuten ihr Erleben unterschiedlich. Wer dem Erlebnis keine 

     tiefere Bedeutung zumisst, ordnet es in seinen Alltag ein - wie alle anderen Erlebnis-

     se auch. Wer in dem Erlebnis jedoch das Gefühl von etwas Größerem in sich spürt, 

     der deutet es religiös. Bei einer religiösen Erfahrung kommt also zweierlei zusam-

     men: Das besondere Erleben - und die religiöse Deutung dessen. 

     

     Die Empfindung von etwas Größerem, Tieferem, Unendlichem hinter dem Erlebten 

     in Worte zu fassen ist schwer. Religiöse Deutung bedient sich deshalb zumeist be-

     sonderer sprachlicher Mittel: Sie verwendet Symbole und Metaphern. Symbole sind 

     doppelsinnig: Hinter der wörtlichen Bedeutung liegt eine übertragene Bedeutung 

     verborgen. Metaphern sind Vergleiche. Diese beiden Mittel unserer Sprache ermög-

     lichen es, von einer Wirklichkeitsdimension zu sprechen, die nicht direkt benennbar 

     und abbildbar ist. Religiöse Deutung ist, weil sie den gewohnten Alltag überschrei-

     tet, immer ein vorsichtiges Tasten - im Wissen, dass keine Beschreibung dem zu Be-

     schreibenden im Letzten angemessen ist. 

     

     Jede Religion bezieht sich auf ein besonderes Erleben der Wirklichkeit und deutet 

     dieses auf ihre Weise religiös. So haben sich in der Menschheitsgeschichte unter-

     schiedliche Traditionsströme herausgebildet. Einer dieser religiösen Traditionsströ-

     me ist das Christentum. 

     

     Der in aller Kürze vorgestellte liberaltheologische Ansatz scheint mir für die heutige 

     Zeit sehr hilfreich zu sein. Er ermöglicht es, 


     - Religion als Phänomen eigener Art plausibel zu machen, 

     - ihre besondere Sprache einzuordnen 

     - und die Eigenheit des Christentums darzustellen, ohne andere Religionen herabzu-

      würdigen. 


     Liberale Theologie geht vom Menschen und seiner Welterkundung und Selbstdeu-

     tung aus - wie es die Naturwissenschaften auch tun. Sie entspricht damit moderner 

     Denkart. Traditionelle Theologien nehmen hingegen nicht mehr hinterfragbare Set-

     zung vor, mit denen man einverstanden sein muss (z.B. die Existenz Gottes oder ge-

     offenbarte Wahrheiten). Darauf lassen sich - so ist meine Wahrnehmung - immer 

     weniger Menschen ein. Noch weiter entfernt von einem liberaltheologischen Ansatz 

     sind evangelikal-fundamentalistische Positionen. Sie wollen letztlich hinter die Auf-

     klärung zurück. Darauf kann sich ein Protestantismus, der auf der Höhe der Zeit sein 

     will, nicht einlassen. 

      

     F) Vorschlag für einen inhaltlichen Aufriss  

      

     Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, von einem liberaltheologischen Ansatz her 

     zentrale Dimensionen des christlichen Glaubens zu erschließen. Im Folgenden stelle 

     ich eine Möglichkeit vor. Diese sieht vor, ein modernes Glaubensbekenntnis entlang 

     der Person Jesus von Nazareth zu entfalten. Immerhin ist es sein Ehrentitel "Chris-

     tus", von dem wir unsere Selbstbezeichnung "Christen" ableiten. 

      

     1) Jesu Verkündigung 


     Ich würde ein neues Glaubensbekenntnis mit Jesu Verkündigung beginnen lassen. 

     Ihm, Jesus, ging es um eine besondere Weise, die Welt anzusehen und zu verstehen. 

     An ihr haben Menschen teil, wenn sie sich wahrnehmen als Teil eines großen Gan-

     zen und eine intensive Verbundenheit mit der ganzen Welt empfinden. Wenn sie 

     ihre Mitmenschen nicht mehr als Konkurrenten betrachten, sondern als Geschwis-

     ter, die Natur nicht mehr als Verfügungsmasse, sondern als kostbare Lebensgrund-

     lage. Mit der Mitwelt im Einklang zu leben, sich zu erfreuen an der Fülle des Lebens 

     und zugleich zufrieden zu sein mit dem, was man wirklich zum Leben braucht: Das 

     bedeutet nach Jesus höchstes Lebensglück und größter Lebensgenuss. 

     Diese antirassistische und antimaterialistische Sicht Jesu auf die Welt und das Leben 

     ist meines Erachtens einer der wesentlichen Bestandteile für den christlichen Glau-

     ben, gerade in der heutigen konsumorientierten Konkurrenzgesellschaft. 

     Eventuell könnte man an dieser Stelle des Glaubensbekenntnisses als Problem be-

     nennen, dass Jesus von den Evangelisten auch Worte in den Mund gelegt wurden, 

     die sich auf Situationen und Konflikte späterer Zeit beziehen. Und darauf hinweisen, 

     dass die Bestimmung echter Jesusworte nie eindeutig sein wird. 

                     

     2) Jesu Gottesglaube 


     Ich würde anschließend deutlich machen, dass Jesus seine Sicht der Wirklichkeit auf 

     dem Hintergrund einer religiösen Tiefenerfahrung entwickelte - und damit auf das 

     Thema "Gott" zu sprechen kommen. Gott, das ist in der Bibel der Name, die Chiffre 

     für das von mir oben beschriebene besondere Erleben der Wirklichkeit und der reli-

     giöse Deutung ihrer als Teil eines größeren Ganzen. Die Israeliten verbanden diesen 

     Namen mit den hellen, erfolgreichen Momenten ihrer wechselvollen Geschichte - 

     Erfahrungen des Vertrauens, der Befreiung, der Gerechtigkeit - ebenso wie mit Dun-

     kel und Selbstzweifel. Ihre Erfahrungen verarbeiteten sie in den Büchern der Bibel zu 

     einer großen Geschichte, die vom Anfang der Welt bis zu ihrer erwarteten Vollen-

     dung reicht. Jesus lebte in diesem jüdischen Glauben. Er fühlte sich in Gott unend-

     lich geborgen. Diese Resonanzerfahrung hat ihn sein Leben lang getragen. Weil er 

     sich im Einklang mit dem größeren Ganzen "Gott" wusste, war es ihm wichtig, auch 

     im Einklang mit seiner Mitwelt zu sein. Deshalb hat er seine Sicht der Wirklichkeit 

     auch "Reich Gottes" genannt. 

     An dieser Stelle würde ich als Problem skizzieren, dass sich im Judentum personale 

     Gottesvorstellungen durchgesetzt und ein immer größeres Eigenleben entwickelt 

     haben bis hin zur Aufforderung Gottes zu Krieg und Zerstörung. Ich würde als Auf-

     gabe von uns Christen heute benennen, diese menschlich-allzumenschlichen Got-

     tesvorstellungen kritisch zu hinterfragen und neue Zugänge, Gedanken und Vorstel-

     lungen über Gott zu entwickeln. 

      

     3) Jesu Leben und Sterben 


     Anschließend würde ich mit Jesus fortfahren und kurz auf sein Wirken eingehen: 

     Dass ihm vor allem die Menschen am Herzen lagen, die sich von allen verlassen fühl-

     ten. Dass er eine ungeheure Ausstrahlung gehabt haben muss. Und er authentisch 

     war, weil er lebte, was er sagte. 

     Dass er dann schließlich in die Mühlen der Macht geriet, aber sich nicht wehrte, 

     sondern seinem Weg der radikalen, uneingeschränkten Liebe bis zur letzten Konse-

     quenz treu blieb. Am Ende stirbt er qualvoll am Kreuz. 

     Die paulinische Kreuzestheologie, also die Vorstellung, dass er starb, um uns von 

     unseren Sünden zu erlösen, würde ich nicht thematisieren. Mich hat diese Deutung 

     des Todes Jesu nie überzeugt, zumal sie von einer personalen Gottesvorstellung 

     ausgeht, die besagt, dass Gott seinen Sohn willentlich opfert bzw. sein Opfer willent-

     lich annimmt. 

     Stattdessen würde ich an dieser Stelle die Hoffnung Jesu zur Sprache bringen, auch 

     nach dem Tod bei bzw. in Gott geborgen zu sein. Dabei greift Jesus auf alttestament-

     liche Jenseitsvorstellungen zurück. Was wir traditionell mit den Worten "ewiges Le-

     ben" beschreiben, bringt genau die Hoffnung auf ein Sein bei bzw. in Gott auch nach 

     dem Tod zum Ausdruck. 

      

     4) Jesu Auferstehung 


     Anschließend ist dann zur Sprache zu bringen, dass Jesu Ende ist noch nicht das En-

     de war, sondern es in gewisser Weise jetzt erst richtig losging. Aus den Auferste-

     hungserzählungen erfahren wir, dass die Freunde Jesu ihn überraschenderweise 

     nach seinem Tod gegenwärtig erleben in Worten und Handlungen, die für ihn ty-

     pisch waren und sie mit ihm verbinden. Sie beschließen, seine Reich-Gottes-Sicht 

     der Welt weiterzutragen und entsprechend zu leben und zu handeln. Ihn, Jesus, wis-

     sen sie in ihrer Mitte: als erlebbare Dynamik, die ihnen Flügel verleiht. »Heiliger 

     Geist« nennen die Evangelisten diese Art der Gegenwart Jesu.  

      

     5) Die Kirche als Nachfolgeorganisation Jesu 


     Nun ist auf die Entstehung der Kirche einzugehen: Die Freunde setzen ihr Vorhaben 

     um, im Sinne Jesu weiterzumachen. Bald stoßen immer mehr zu ihnen – im weiteren 

     Verlauf auch Menschen, die keine Juden sind: So entsteht die Kirche als eine große 

     Bewegung. 

     An dieser Stelle kommt man nicht umhin, einzugestehen, dass die Kirche ihrer Auf-

     gabe in der Geschichte immer wieder untreu geworden und sich stattdessen mit den 

     Mächtigen der Welt eingelassen hat. Ich würde klar zum Ausdruck bringen, dass Kir-

     che hat nur dann eine Chance in der Zukunft hat, wenn sie sich auf ihre Identität 

     wieder zurückbesinnt. Ein lebendige Überzeugungsgemeinschaft, die im Sinne Jesu 

     aktiv ist, die im Austausch steht mit Wissenschaft und Religionen und die Nöte und 

     Sorgen der Menschen in den Blick nimmt: Das wäre meines Erachtens auch in der 

     heutigen Welt hochattraktiv. 

      

     6) spätere Übermalungen Jesu 


     Abschließend könnte man noch spätere Ausmalungen des Lebens Jesu erwähnen: Es 

     wurden ihm Wundergeschichten angehängt und man hat ihm Ehrentitel beigelegt 

     (Menschensohn, Messias, Sohn Gottes). Aber damit nicht genug: Die Evangelisten 

     malten das Gefühl der Gegenwart Jesu, das die Freunde nach seinem Tod hatten, 

     mit bunten Farben aus und erweckten damit den Anschein, dass sein leibliches Le-

     ben nach dem Tod weiterging, als hätte man einen Leichnam wiederbelebt. Lukas 

     erzählte schließlich sogar von seiner Himmelfahrt: Ausdruck dessen, dass Jesu Karri-

     ere als Himmelswesen steil nach oben ging. In dieser Linie denkt auch der Apostel 

     Paulus, der Tod und Auferstehung Jesu zu einer großangelegten Erlösungslehre aus-

     baute. 

     Ich würde klar zum Ausdruck bringen, dass diese Übermalungen Jesu zur Folge hat-

     ten, dass seine Verkündigung immer mehr in den Hintergrund trat. Eine Entwick-

     lung, über die Jesus selbst sicherlich am traurigsten gewesen wäre. 

      

     Abschluss 


     Was ich als inhaltliche Ideen für neue Glaubensbekenntnisse präsentiert habe, ist 

     meine persönliche Sicht der Dinge. Andere mögen es anders sehen. Wichtig wäre 

     mir, dass wir Christen uns endlich trauen, offen und ungeschminkt über unseren 

     Glauben zu debattieren und dabei auch einmal Gewohntes und Selbstverständliches 

     in Frage zu stellen. Damals auf den Konzilien der Alten Kirche hatte man noch über 

     Glaubensthemen gestritten. Diese Diskussionskultur ist uns in der Kirche schon seit 

     längerem abhanden gekommen. Ich bin sicher: Wenn wir uns wieder trauen wür-

     den, ganz grundsätzlich über Glaubensthemen zu diskutieren, würde das Leben in 

     die Kirche bringen. Und vielleicht auch Auswirkungen haben nach außen. 

     Sich zurückzuziehen auf Bekenntnisse, die Menschen vor 1700 Jahren ersonnen ha-

     ben: Das kann jedenfalls keine Alternative sein. Das Alte kennen die Menschen zur 

     Genüge - und wollen es nicht mehr hören. Jesus hat einmal gesagt: "Neuer Wein in 

     neue Schläuche". Jetzt wo unsere alten Schläuche immer mehr brüchig geworden 

     sind, wäre die Zeit vielleicht doch irgendwann mal reif für Neues. Neue Glaubensbe-

     kenntnisse, die entstehen, könnten Ausdruck dafür sein, dass sich die Kirche noch 

     einmal neu auf den Weg macht. 


von Prof. Dr. Joachim Kunstmann 24. Oktober 2025
Ein Katechismus für aufgeklärlte Christen
von Gerhard Breidenstein 22. August 2025
Ein Abschied von der Sühnopfer-Theologie